Interview mit Dr. Babette Nieder

Dr. Babette Nieder ist eine hoch angesehene Wasserstoff-Expertin. Sie war unter anderem 2020 als H2-Koordinatorin für die Wasserstoffaktivitäten der regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiN Emscher-Lippe mitverantwortlich.

Babette Nieder, wie sieht die Tätigkeit einer Wasserstoff-Koordinatorin aus?

Ich bin Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um die Wasserstofftechnologie für Unternehmen sowie öffentliche Träger in der Emscher-Lippe-Region. Wir möchten für das Thema begeistern, zu einer Vernetzung beitragen und den Wissenstransfer ermöglichen. Ich informiere über Förderungen, berate bei der Einführung der Technologie und sorge für eine Sichtbarkeit der Aktivitäten in der Wasserstoffwirtschaft. Zusätzlich erarbeiten mein Kollege Dr. Klaus Rammert-Bentlage und ich eine H2-Strategie für die Entwicklung in der Emscher-Lippe-Region.

Welches Potenzial sehen Sie in der Brennstoffzelle für die Verkehrswende?

Die größte Herausforderung der Energiewende, die Hand in Hand mit der Verkehrswende geht, ist der Transport und die Speicherung erneuerbarer Energien. Eine Möglichkeit, diese Herausforderung zu bewältigen, ist die Speicherung von Energie in Wasserstoff und deren Rückgewinnung durch Brennstoffzellen – zum Beispiel durch Windstromelektrolyse. Die Wasserstofftechnologie ist für ein klimaneutrales Europa unverzichtbar und wird eine entscheidende Rolle bei der Verkehrswende übernehmen. Wir sprechen also über eine Zukunftsbranche, die wir fördern müssen. Die Stadt Herten ist mit ihrem Wasserstoff-Kompetenzzentrum eine Vorreiterin auf diesem Feld.

Wie kann man sich das vorstellen?

Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Ewald haben sich zahlreiche Unternehmen und Institutionen angesiedelt, die sich für erneuerbare Energien, insbesondere Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, einsetzen. Damit haben wir in der Region ein einzigartiges Leistungszentrum für Mobilität, Industrie und Energieversorgung geschaffen. Die Emscher-Lippe-Region mit dem Chemiepark Marl zählt heute zu den größten Erzeugerinnen von Wasserstoff in Europa.

Wieso passiert das ausgerechnet dort?

Das ist historisch nicht erstaunlich. Über Energie hat man sich in Herten seit dem 19. Jahrhundert Gedanken gemacht. Früher war Herten die größte Bergbaustadt in Europa, heute der bedeutendste Standort für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Und dadurch sind neue Arbeitsplätze entstanden. Genau genommen haben wir heute mehr Beschäftigte in der Region als zu Hochzeiten von Kohle und Stahl. Das zeigt: Es entstehen Beschäftigungsmöglichkeiten in diesen Feldern, sie sind ökonomisch attraktiv. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich um wirtschaftliche Einbrüche bei Unternehmen beispielsweise in der Autoindustrie sorgt.

Welche Rolle wird das Auto in Zukunft spielen?

Deutschland hat sich zu lange ausschließlich als Autoland definiert, die Automobilbranche genießt einen großen Einfluss auf die Politik. Ich denke aber, dass die Zeit der autogerechten Städte ausgereizt ist. Wir sollten klimafreundlichere Lösungen sowie gesündere und attraktivere Gestaltungsmöglichkeiten in den Blick nehmen, die wieder mehr Lebensqualität in die Städte bringen. Dabei werden politische Entscheidungen, unabhängig von welcher Partei, zugunsten der Autolobby zumeist damit begründet, dass man den Verlust von Arbeitsplätzen vermeiden muss. Allerdings bin ich überzeugt, dass in den neuen Branchen ebenfalls Arbeitsplätze entstehen werden oder bereits entstanden sind. Darüber hinaus denke ich, dass die Belange der Bürger*innen heute andere sind. Sie wünschen sich lebenswerte Städte mit Aufenthaltsqualität, eine Lärmreduktion, mehr Verkehrssicherheit und Klimafreundlichkeit. Wasserstoff sehe ich da als Bindeglied zwischen Politik und Wirtschaft: Diese Technologie kann ökologische und ökonomische Interessen zusammenbringen. Und auch der ÖPNV wird vom Wasserstoff profitieren.

Wie stellen Sie sich den ÖPNV in der Zukunft vor?

Ich weiß, dass für Busunternehmen Wasserstoff zurzeit die beste Antriebsenergie ist: schnell betankbar und klimaneutral, sofern es sich um grünen Wasserstoff handelt. Da wollen alle hin. Generell wäre ich dafür, die Fahrpreise weiter zu senken, das heißt, mehr zu subventionieren. Ich sehe den ÖPNV als einen Baustein zur allgemeinen Daseinsvorsorge. Wir fördern selbstverständlich Krankenhäuser und soziale Einrichtungen – ich wünsche mir auch für den ÖPNV mehr Finanzierung durch unsere Steuergelder. Schließlich sorgt ein gutes öffentliches Verkehrsnetz dafür, dass Menschen zur Arbeit kommen und überhaupt erst Steuern erwirtschaften können. Außerdem glaube ich, dass wir neben der Entwicklung von Technologien gute und praktikable Lösungen für die Bürger*innen schaffen sollten. Wir bauen zum Beispiel gerade ein MobilitätsHub auf, dort kann man Fahrräder, Pedelecs, Autos und andere Fortbewegungsmittel gemeinschaftlich nutzen und multimodal unterwegs sein, mit funktionierender Anbindung an Bus und S-Bahn. Eine Vereinfachung der Preise wäre eine weitere Zukunftsentwicklung, die ich mir vorstellen kann. Genau wie die Digitalisierung von Tickets und Informationen.

Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht für die Region?

Konkret habe ich drei Wünsche. Erstens: mehr S-Bahn-Haltepunkte und Anbindungen an die jeweiligen Buslinien; zweitens: ein Übergang zu Brennstoffzellen aus grüner Energie; und drittens: eine Verbindung zwischen Recklinghausen und Bochum. Allgemein bin ich übrigens zuversichtlich, dass es in den nächsten Jahren viele positive Veränderungen der Mobilität geben wird – sowohl hier im Vest, als auch in Deutschland generell. Wir müssen nun lediglich miteinander aushandeln, welche Veränderungen wir wie schnell umsetzen wollen.

Babette Nieder, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview stammt aus dem Jahr 2020.